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Eldoret Crashkurs Teil 3

 

Am Anfang tue ich mich wirklich schwer, die oft ähnlich klingenden Namen der Dörfer und Athleten zu behalten oder, noch schlimmer, beides zu verwechseln. Kaptagt, z.B. Da laufen wir morgen früh, lautet die Ankündigung beim Abendessen. Wie dem auch sei, mir fallen kurz nach neun die Augen zu und ich verzieh mich unter mein Moskitonetz ins Bett. Zeit zum Schlafen. Licht aus.

Licht ist immer noch aus. Drin wie draußen. Schlafen geht aber nicht mehr. Es ist fünf Uhr morgens, in einer halben Stunde gehts los. Etwas benommen suche ich meine Laufklamotten zusammen, ziehe mir die Schuhe an und warte am Eingang des Hauses auf die anderen. Der Kleinbus bringt uns nach Kaptagat. Alle sind noch schläfrig.

Coach Paul: zwanzig Minuten locker, dann zwanzig Minuten Tempo steigern, letzte zwanzig Minuten schnell. Er dreht sich zu mir um: „bei 2400m gehts los und bei 3000m ist der Dauerlauf zu Ende. Teil Dir Deine Kräfte gut ein!“

Der Anfang im Sechser-Schnitt hilft mir beim Wachwerden. Die Sonne geht langsam hinter den Bergen auf. Neben den Athleten aus unserer Gruppe haben sich noch zehn bis fünfzehn andere Athleten dazugesellt. Die meisten von Ihnen wohnen in den Lehmhütten direkt vor dem Camp.

Meine 20 Minuten Schonfrist sind vorbei. Das Tempo steigt. Die Höhe auch. Nach und nach reissen Läufer ab. Die Luft wird immer dünner. Für mich entwickelt sich das Ganze nun zum Tempodauerlauf. Plötzlich hören wir das Näherkommen einer weiteren Laufgruppe. Schnelle Schritte. Daniel Komen läuft mit seiner Gruppe mühelos an mir vorbei. Ungewonhntes Gefühl. Nicht viel später macht Komen mit seiner Gruppe Druck, ein Teil von uns folgt Ihnen, ich nicht. Zusammen mit zwei anderen Läufern versuche ich das Tempo zu halten. Aber der Abstand zu denen vorn wird größer. Es geht fast durchgehend bergan. Endlich im Ziel. Irgendwo auf über 3000m Höhe. Die Jungs haben ein verdammt hohes Dauerlaufniveau, stelle ich fest. Die Stimmung auf der Rückfahrt ist gut. Das Mittagessen wartet. Ugali, der kenianische Maisbrei.

Wettkampf in Kisumu. Daniel Komen hat gerade seinen 5000m-Vorlauf gewonnen und sucht jetzt Schatten und ein kühles Getränk in unserem Bus. Nach kurzem Small-Talk deutet er auf einen Typ vorm Bus. Ob ich ihn erkennen würde, will er wissen. Ich mustere ihn von oben bis unten. Er sieht total unscheinbar aus, wie der Imbissbudenverkäufer um die Ecke. Und genau das war der Job von Simon Biwott, bevor er im letzten Jahr den Berlin-Marathon überraschend gewonnen hat.

Beim Meeting wimmelt es nur so von Weltklasseläufern oder solchen, die es bald sein könnten.

Nicht nur im Training werde ich von Nachwuchsläufern als potentieller Manager gehandelt. Dass ich noch Schüler bin und gerade erst mein Abitur schreibe scheint hier niemanden so recht zu interessieren und als Entschuldigung schon gar nicht zu gelten. Ich bräuchte ihnen doch nur ein Flugticket zu kaufen, ein bisschen rumtelefonieren um sie in die Meetings mit den Peseten zu bekommen und fertig. Das Bild, das viele Kenianer von uns haben, kommt genauso naiv rüber wie meines vorher von Kenia.

Seit meiner Ankunft sind schon drei Wochen vergangen. Zeit, um das „Training der Kenianer“ kennenzulernen. Und um zu lernen, dass es DAS kenianische Training nicht gibt. Zu sehr bestimmen verschiedene Trainer und insbesondere bereits etablierte Spitzenläufer was gemacht wird oder nicht. Es gibt unzählige Camps und selten dauerhaft feste Laufgruppen. Kenianische Läufer trainieren nicht einheitlich. Wie in Deutschland, gibt es in Kenia Läufer mit mehr oder mit weniger Talent, welche, die sehr verletzungsanfällig sind, Trainingsweltmeister, die ständig überziehen und dann im Wettkampf nur durchschnittlich laufen und natürlich die, die langfristig denken und mit Kopf trainieren. Die sich zurückhalten können, wenn notwendig, um dann bei den schnellen Einheiten auch schnell laufen zu können.

Beispielprogramm

Zu Besuch in Iten. Vor Jahren hatte ich in der Zeitschrift „Leichtathletik“ die Programme der Nachwuchsläufer von dort gesehen. Einfach brutal. In der Realität sieht es ein wenig anders aus. Einer erreicht vielleicht die Zeiten im Training, die auch im Artikel angegeben waren. Dahinter sind aber unzählige andere Läufer mit entsprechend langsameren Zeiten. Und da wird auch nicht vier bis fünfmal die Woche auf der Bahn trainiert. Nichtsdestotrotz, das Training ist hart, keine Frage. Allerdings wird diese Härte über Jahre hinweg aufgebaut und nicht selten erleben Läufer, die sich daran nicht halten möchten, eine Verletzung nach der anderen.

Der Rückflug fällt nicht leicht. Was bleibt?

Zum einen natürlich die atemberaubenden Bilder der ostafrikanischen Hochebene und das Gefühl mal eben kurz in eine andere Kultur eingetaucht gewesen zu sein. Zum anderen aber die Erkenntnis, dass das Stereotyp der kenianischen Wunderläufer mitunter nicht der Realität entspricht.

Die Dominanz der Ostafrikaner auf den Mittel- und Langstrecken verleitet europäische Läufer oft zu der Feststellung, die Schnelligkeit der Hochlandathleten sei genetisch bedingt. Dabei sind die Erfolge natürlich das Ergebnis harter, kontinuierlicher Trainingsarbeit. Die vermeintlich übermächtigen Kenianer müssen auch den harten Weg durch die Trainingsjahre gehen, mit Verletzungen und anderen Enttäuschungen zurecht kommen, um Jahre später Siege auf der internationalen Leichtathletikbühne zu erlaufen.

Vielleicht ist diese Ungewissheit, was man zu leisten im Stande ist, der Reiz es zu versuchen.

Nils Grote