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Eldoret Crashkurs Teil 2

 

Zum Frühstück gibt es Toastbrot mit Magarine, dazu Marmelade und Honig. Obwohl wir beim Sechs Uhr-Dauerlauf nicht mal schneller als fünf Minuten pro Kilometer über die Hochebene gejoggt sind, entschließe ich mich noch mal ins Bett zu gehen und zu dösen. Nachher steht Krafttraining auf dem Programm.

Gegen zehn fahren wir nach Eldoret rein. Es könnte wirklich überall in Afrika sein. Nichts deutet darauf hin, dass die emsige Distrikthauptstadt nahe der Grenze zu Uganda die weltweit größte Dichte an Olympiasiegern, Weltmeistern, und Weltrekordhaltern hat. Doch hier aus der Höhe des Great Rift Valley kommen sie alle her: Wilson Kipketer, Paul Ereng, Kip Keino, Sammy Kipketer, Benjamin Limo, Saaeed Saif Shaheen und, und, und.

>Daniel Komen mit Autoreifen

Moses Tanui, mehrfacher Boston-Marathon-Gewinner, hat einen eigenen Kraftraum aufgemacht. Noch mehr als der moderne Kraftraum überraschen mich die eigens angestellten Physiotherapeuten. Massagebank, Kühlakkus, Ultraschall, Muskelstimulationsgeräte – alles mit dabei. Rewind. Vor einem halben Jahr stand ich noch bei der Berlin-Marathon Messe am Puma-Stand. In der Hand einen Prospekt über die Naturburschen aus Kenia. Im Prospekt  waren einige echt schöne Fotos von den Kenianern beim Training. Eines davon zeigt den 3000m Weltrekordler Daniel Komen mit Autoreifen um die Hüfte bei Tempoläufen.

Alles Naturburschen? Im Kraftraum wird klar: Schnell scheinen auch „westliche“ Trainings- und Betreuungsmethoden in Kenia beliebt geworden zu sein. Die Zeiten, zu denen Läufer ihre Ziegen eintauschen mussten um sich ein Flugticket zu den Meetings nach Europa leisten zu können, sind lange vorbei. Verwestlichung stattdessen mit einem Schuss „pole, pole“, der kenianischen Ruhe. Und in der Tat drehen sich die Uhren in Kenia manchmal etwas anders.

Ali, der wegen seines ähnlichen Aussehens oft von den Kenianern mit Haile Gebresselassie verwechselt wird, ist als erster in der Physio. Knieprobleme. Er überzieht gerne mal im Training. Am Wochenende gehts zum Wettkampf an den Viktoriasee, nach Kisumu. Bis dahin soll wieder alles rund laufen. Im Kraftraum läuft MTV Europe auf dem Bildschirm im Hintergrund. Berlin wirkt nur um die Ecke. Wir machen einen Zirkel von 15 Übungen an Maschinen und mit Freihanteln. Geringe Gewichte - hohe Wiederholungszahlen. Es sind noch andere Läufer im Kraftraum, die nicht zu unserer Gruppe gehören. Mit einem von ihnen komme ich ins Gespräch. Er fragt, woher ich komme.

Er „Ah, Berlin?! Da war ich letztes Wochenende auch!“

Ich: „Ach, wie das?“

Er: „Bin Halbmarathon gelaufen, war schön.“

Auf meine Frage, wie es gelaufen sei, bekomme ich ein breites Grinsen: „Gut, war Zweiter in 60:30.“ „Long way to go”, denke ich laut.

Nach dem Krafttraining verstreut sich die Gruppe in Eldoret’s Innenstadt. Ali zeigt mir das Internetcafe. Die anderen kaufen ein paar Sachen. Um halb eins gehts zurück zur Farm. Nach dem Mittagessen legen sich die anderen hin. Ich spaziereauf der Farm rum. Wenig später mache ich einen Abstecher auf die nahegelegende Sandstrasse und erkunde die Gegend. Hier und da bricht eine Lehmhütte meine Tagträumerei. Auf dem Rückweg überholt mich eine Gruppe von Läufern. Alle mit langen Sachen. Ein Blick auf die Uhr verrät, es ist gleich vier. Wie kommen die Jungs bloß auf die Idee jetzt mit langen Sachen zu laufen? Es müssen doch bestimmt 25 Grad sein. Mindestens! Ich komme schon mit meiner kurzen Hose und T-Shirt beim spazieren ins Schwitzen..

Kein Training am Nachmittag. Zeit, die anderen Läufer besser kennen zu lernen. Philemon erklärt mir dass sein Spitzname, Moto-Moto , was soviel wie Feuer- Feuer heißt, von seiner Art zu laufen kommt. Aus Kericho kommt er, der Gegend, wo etliche Teeplantagen zu finden sind. Letztes Jahr war er dritter bei der Junioren WM in 3:39, hinter Cornelius Chirchir und dem Deutschen Wolfram Müller. Damals hat er noch im Fila-Camp trainiert. In Kaptagat. Ein Camp hauptsächlich für Marathonläufer.

David Karonei, der 800m- Spezialist unserer Gruppe erklärt mir, wie unglaublich hart die Kenia-Trials für die Junioren WM waren. Holzmedaille für ihn. Als vierter musste er daheim bleiben. Immerhin 1:47 ist er gelaufen. Schnell. Aber bei der Dichte an Läufern nicht schnell genug. „ABER“, fügt er gleich hinzu, „wenn alles klappt fliege ich in zwei Wochen zum ersten Mal nach Europa.“ David Fiegen, ein junger Läufer aus Luxembourg, hat ihn als Trainingspartner eingeladen. Flug und Unterkunft werden bezahlt. David versucht alles ganz gelassen zu erzählen, die Spannung und Vorfreude auf seinen ersten Flug, auf Europa, kann er aber nicht verbergen.

Die beiden Eritreaer sprechen nicht so gutes Englisch. Also werden mir alle Photoalben von Familie und der Cross WM gezeigt, bei der zuvor Ali 32-ter bei den Junioren und Simret 20-te wurde.

Dann ist da noch Ezekiel Kemboi. Im Gegensatz zu den meist eher ruhigen Kenianern ein sehr extrovertierter Kerl. Durchaus sympathisch und immer für Überraschungen gut. Ich bin ja echt erst zwei Tage da, quasi gerade angekommen, und er gibt mir einen Crashkurs im Kenyan Way Of Life. Als wir mittags in Eldoret waren, hat er meine Hand genommen und ist mit mir Händchen haltend in aller Seelenruhe durch die große Einkaufsstrasse der Stadt spaziert. Nun, für mich als Europäer ist da immer die Assoziation: Händchenhalten = Pärchen. Naja, jedenfalls hatte ich null Ahnung, was Kemboi wollte, aber man will ja in der Ferne auch nicht unhöflich sein. Nach fünf Minuten sind mir dann auch andere Männer Hand in Hand entgegen gekommen. Je mehr ich drauf achtete, desto mehr Männer wurden es. Okay, puh, scheint hier normal zu sein, dachte ich mir dann. Im Reiseführer, den ich natürlich erst jetzt auf der Farm anfange zu lesen, steht: Händchen halten sei unter guten Freunden gang und gäbe.

 

Nils Grote