zurück

Der Dieter aus Blaubeuren: einer von d'r Alb ra

 

Den Dieter kenn ich gar nicht persönlich, den Dieter kenne ich nur vom Hörensagen, aus den Medien, seinen zwei Büchern und von Laufveranstaltungen. Trotzdem habe ich Typen wie den Dieter schon öfter kennen gelernt.  Jene ausdrucksstarken schwäbisch-schwätzenden Menschen, kommend aus kleinen Dörfern von der schwäbischen Alb. Handwerker, manchmal Dickköpfe, Leute die ihren Weg gehen, die aufgrund ihrer Eigenheiten, ihrer klaren Linie polarisieren, Sympathien in ebenso großer Anzahl genießen, wie sie Kritiker anziehen. Sie nehmen selten ein Blatt vor den Mund, verstehen Humor und Witz klar getrennt von der klaren Linie.


Als so einen sehe ich den Dieter aus Blaubeuren - jetzt in Tübingen lebend -, einer der gern als Vorzeigeschwabe herangezogen wird, einer der nie mit dem Begriff "Zweifel" in Zusammenhang gebracht wird, wegen seiner positiven Ausstrahlung sogar Motivationsseminare hält. Der sich nicht verändern lässt, der auf seiner Meinung behaart, immer einen Spruch parat hat. So passt es auch ins Bild, wenn der Schwabe sagt, dass er kein Konsummensch ist, "ich begnüge mich mit sehr einfachen Dingen. Ich kaufe selten ein, (...) und bin selbst nicht so auf Geld fixiert. Ein bisschen was sollte ich verdienen, damit ich meine Familie ernähren kann." spricht der, auch von schlechteren Zeiten geprägte, Vater zweier Kinder. Das ist der Junge vom Land, dass zeigt sich in jeder Lebenslage: "Ich kaufe nicht nur im Bio-Laden, weil mir nicht ins Hirn will, warum ich für Gelbe Rüben das Dreifache bezahlen soll. Da bricht der Schwabe in mir durch." So bekommt man auch - nachdem er nun so vielen Jahren in der Medienlandschaft zu Hause ist - nicht das Gefühl los, dass er da irgendwie nicht rein passt in diese neue Generation. Er beherrscht die Konversation mit den Medienleuten perfekt, ist aber nicht so einer wie der Hannawald oder Ullrich. Ob bei Kerner, Waldemar Hartmann oder bei Böttinger im WDR: Der Dieter ist immer ein willkommener Gesprächspartner. Er spult nicht diese 08/15 Sätze
ab, die dem Zuschauer zur einen Seite rein gehen und ebenso schnell auf der anderen Seite entschwinden. Gestik bestimmt seine eindringlichen Sätze. Wüsste man es nicht könnte da auch ein Schriftsteller sitzen. Er lässt sich bei seinen Aussagen viel Zeit, ummalt diese mit einprägsamen Wortgerüsten, bedient sich auch gern einer Anekdote. So auf die Frage, warum er trotz so viel Spaß für das Laufen Antrittsgelder verlange: "Wenn ich über die Alb laufe und an einem Bäuerle vorbeikomme, das gerade Holz hackt, kriege ich regelmäßig zu hören: Ha Kerle, du tät'sch mir au besser helfe, als in d'r Gegend romzuspringa" Baumann ist auch Philosoph. Und wenn er von früher erzählt, hört man aus seinen Sätzen, dass er hinter seiner Herkunft steht: "Bei uns in Blaubeuren war die Küche der zentrale Ort. Dort wurde gekocht, gegessen, gequatscht. Das war Familie, das war Heimat."  Heimat die er als Läufer in die ganze Welt getragen hat.

Auch wenn er seine Sympathien zu den Grünen kundtut, wenn er bei Versteigerungen von Gemälden fungiert oder das Publikum bei seinen Vorlesungen fesselt sagt man nicht "Das ist doch der Läufer, was will der eigentlich da?" Weil der Dieter authentisch ist, weil der Dieter gut Überlegtes, Überzeugendes von sich gibt, wenn er den Mund aufmacht. Er kann Gruppenzwang mit seiner Einstellung nicht vereinbaren, gibt seine Meinung kund, auch wenn er seine Aussage nicht in die Meinung der Mehrheit eingegliedert sieht. So, als er nach seinem Alkoholkonsum gefragt wurde: "Beim Bier fürchte ich nur die verheerenden Folgen. Wenn ich drei Halbe trinke, weiß ich genau, dass mich das Training am nächsten Tag ankotzt. Und warum soll ich mir den Spaß am Training nehmen?" Das ist der Dieter, das sind seine Ansichten, Ansichten die er sich nicht einreden lässt, sondern die er aus voller Überzeugung annimmt. 

Das passt zum Typus des schwäbischen Charakterkopfs. Weil der Dieter schon immer diese klare Linie gegangen ist hat er es auch sportlich ganz nach oben geschafft. Als junger Spund, vom Fußball kommend, hat er- schön auf alten Fotos zu sehen -  sich schon früh aus der Läufermasse herauskristallisiert. Einer, der heiß war, konzentriert, voll bei der Sache und immer den Ehrgeiz zu gewinnen. So schreibt er über damals: "Früher, könnte ich sagen, gab es noch (...) hungrige, begeisterungsfähige junge Menschen, die nichts anderes im Kopf hatten, als im Sport etwas zu erreichen." So einer war der Dieter. Wechselte 1987 für 3 Jahre zum VfL Waiblingen. Dort gelang ihm eine Sensation, als er 1988 Olympiasilber erlief. Sein Weg ging stetig Berg auf, immer schneller, immer erfolgreicher. 1990 dann der Wechsel nach Leverkusen. Größerer Verein, finanzielle Sicherheit, der Schwabe weiß um seinen Wert. Dann wurde der Olympiasieger geboren. Es war dieser Blick, dieser kontrollierte Ausdruck, der ihm während des ganzen Rennens in Barcelona so souverän erschienen ließ. Sein Laufstil seine Gestik, ja, er war vorbereitet, er wird sein Rennen schon Hunderte Male im Kopf gelaufen sein.  Dann kommen sie auf die Zielgerade, das Stadion ist ausverkauft, die warmen Temperaturen, es ist ein geschichtliches Großereignis: "Der Weg ist frei, das Tor zu aller Glückseligkeit ist offen, ich weiß, der Olympiasieger heißt Baumann, er braucht nur noch 100 Meter zu fliegen. Ich bin die Möwe Jonathan. Ich steige in eine andere Sphäre auf. Alles rosarot, und ganz langsam wird mir bewusst, welches Glück ich habe." schreibt er in seinem ersten Buch. Der Dieter hat nie gezweifelt, der Dieter hat es geschafft.

Eine ganze Generation von neuen Läufern zog dieses Gänsehautereignis in ihren Bann. Auch ich wollte Laufen; trat 1993 der LG Weinstadt - einer Läufergruppe bei Stuttgart - bei: "Zum Laufen braucht man nichts, nur den Dieter als Motivation" Für viele Schüler und Jugendlichen wurde das Laufen jetzt ein Begriff, weil da jetzt ein Vorzeigeläufer war. So war sein Training auf einmal nachvollziehbar, konnte man etwas damit anfangen, wenn er sagte, dass er 160km die Woche läuft. Er trainierte nach der ,1992 von ihm geheirateten, Isabell Hozang. Sie galten als das perfekte Team im Laufzirkus. Er, der junge, willige Athlet, sie, die kompetente selbst lauferfahrene Ehefrau und Trainerin. Doch der Athlet alleine muss im Endeffekt wissen was er da tut. So sagt man, dass der Dieter ein ausgesprochenes Körpergefühl hat, dass ihm zum Höhepunkt hin half fit zu werden. Man weiß, dass der Dieter im Training auch langsam läuft, langsamer als andere Weltklasseathleten. Und wäre er nicht überzeugt, dass das der beste Weg ist, hätte er es nicht genau so getan.

Seine Leistung konnte er über Jahre hinweg Aufrechthalten, wurde 1994 sogar noch Europameister. Ein Werdegang, angefangen auf den 1500m, bis hin zu den 5000 Metern, seiner Spezialstrecke. Diese lief er 1997 so schnell wie noch kein Europäer vor ihm: mit 12:54,70min zum ersten und letzten Mal unter 13 Minuten. Zuvor hatte er das erste Mal mit den Kenianern trainiert. Ein Jahr später vollbrachte er selbe Leistung über die 3000m, wo er in 7:30,50min Europarekord lief. 

Dann kam 1999 der große Fall, der Wiederaufstieg zum Vizeeuropameister 2002 über 10000m. Geschehnisse über die zu Genüge berichtet und geschrieben wurde. 

Jetzt ist der Dieter fertig mit dem Bissig-sein und dem Heißhunger nach Erfolgen. So macht der entspannte, lockere Dieter auch im FOCUS Interview - auf die Frage ob ihm der Abschied denn schwer gefallen sei - klar: "Überhaupt nicht. So wollte ich immer aufhören: an einem Punkt, an dem ich genau erkenne, ich kann mich nicht mehr weiterentwickeln. Ich habe 20 Jahre Leistungssport gemacht, und erst jetzt merke ich, wie groß der Druck war. Dass ich am Samstagvormittag mit meiner Familie zum Einkaufen gehen kann, ist für mich eine völlig neue Erfahrung." Ja, so spricht einer, der von dem überzeugt ist, was er da so erfolgreich getan hat, der sich in seinem Tun bestätigt fühlt. Jetzt  motiviert, schreibt, versteigert, diskutiert, moderiert, engagiert er sich in seinem neuen Leben. Da darf das Laufen nicht fehlen, sogar Skifahren steht nun auf seinem Urlaubsplan. Der Dieter kann mit seinen Fähigkeiten so viel machen. Ob eine Laufaktion im FOCUS, ein Auftritt beim deutschen Katholikentag oder die Organisation eines Laufteams, deutscher Nachwuchshoffnungen, in Tübingen, dieser Mann wird auch weiterhin seinen Weg gehen.

Jetzt greife ich zum Telefon, will ich doch noch schnell meinen Laufkumpel anspornen: "Hey, häng di' a bissle nei ond lass di' ned abbrenga, d'r Dieter hat's au g'schafft, isch Olympiasieger g'worda. Des packsch du au!!" Wahrlich, der Dieter ist auch nur ein Schwabe, einer von d'r Alb ra, einer von uns.

 

Stefan Faiß (09.03.2004) | Kontakt |

>Danke für den Link bei

>Zitatquellen:

>Bildquellen: