Wo der Wald zu Bäumen wird
Setze mich auf meine Tasche, meine Tasche mit der
rauen Oberfläche. Tief sinke ich in ihren Inhalt, rücke sie zurecht, sitze
bequem - saß schon mal besser. Kalter Pflasterboden, kahle Wände, grelle
Werbebotschaften. Typischer Eisenbahngeruch, Bahnhofsgeruch. Beine, viele Beine
machen die Umgebung lebendig. Viele Menschen, ja ich sehe viele Menschen. Weiß
nicht wie sie heißen, weiß nicht was sie wollen, wo sie leben. Ihre Bewegungen
bedeuten Leben, Ihre Mimik Empfinden. Manche
dieser Menschen reden von Leben, als ob Sie keines besäßen. Manche dieser
Menschen reden von Freude, als ob Sie des Lachens nie Herr waren. Manche
schwärmen von Reichtum. Reichtum, der sie der Befriedigung hingibt, der sie des
Daseins zu berechtigen scheint. Sie, diese Menschen die sie doch im Kreise der
Umwelt ihrem Soll nachgehen, die sie keinen Wert auf Pausen legen, keinen Funken
auf Stillstehen geben. Die sie hier an diesem Ort in Anonymität eintauchen. In
Augenblicken, wo die Erde sich mit ihnen dreht, wo Wolken, Sonne keinen Einlass
haben, wo Züge die Begehrten sind. Wo Selbsterschafftes zu Selbstverschuldetem
wird, wo Geld das Utensil der Stärke ist, das Mittel zum tun. Leben
Sie in der Form des einen Weges? Des Weges ihrer Vorstellung? In der Form
der absoluten Innigkeit - im Raum der Zentralisierung? Der Enge des Seins? Wo
fängt für diese Menschen Schein an, wo hört für diese Menschen Leben auf?
Welch Blüte sich aus ihren Fantasien ergeben mag? Wann Sie das letzte Mal eine
echte gesehen haben?
Die Wand an meinem Rücken ist hart, sie ist mit
Rillen versehen. Ich ziehe meine Kopfhörer heraus, will Musik. Will nicht das
Reden anderer Leute, das Rauschen der Züge, das Gepollter von Koffern. Der
Klang ersetzt Gewohntes. Ich sehe immer noch
was hier passiert, weiß was ich sehe. Der Rhythmus ist langsam die Stimme beruhigend
- Texte, Worte fließen in meine Ohren. - Und doch ist der Unterschied da. Es
wird aus Gleichem Verschiedenes, werden aus vielen Menschen einzelne Menschen.
Wo keiner dem anderen gleicht, wo der Wald zu Bäumen wird. Sehe nicht viele
Menschen, sehe nicht diese Menschen. Bilder, Bewegungen breiten sich in einer
neuen Weise aus. Merkmale, Bewegungen werden eindringlicher, werden
rhythmisch. Eine Handtasche fällt zu Boden. Habe gedacht das dies nicht mit
Absicht geschah, sehe jetzt, dass es nicht anders hätte sein dürfen. Ein Mann
rennt zur Zugtür, er ist nicht in Hast, es schien mir nur so. Es ist ein
Schauspiel. Ich liebe dieses Schauspiel, es ist faszinierend. Die Lieder Reihen
sich aneinander, die Vorstellungen brillieren in makelloser Perfektion. Nicht
gespielt, es ist echt, real, lebendig. Merke wie viel doch diese Musik bewirkt merke
wie Sie mich in eine andere Welt bringen kann, wie sie meine Sicht verändert.
Nun scheint mir klar, was wahre Musik ist, wo die Ursprünge von ihr liegen. Musik verändert, verwandelt, spielt den Dirigent ohne das wir es merken."...das
wir unser Leben lieben so spät es auch ist... und das die Sonne nicht unter
geht, sondern die Erde die sich dreht" heißt es im Lied. Ich stehe auf und
verschwinde in meiner Bahn. Will erfahren was mir die Welt da draußen zeigt.
Die Musik spielt weiter.
Stefan Faiß (02.09.2003)