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Da läuft man von alleine schneller!

 

Es war letzten Donnerstag, als mich die Grippe befiel. Am Tag zuvor hatte ich mich noch bei Minusgraden auf der Bahn abgequält, konnte keinerlei vorgegebene Zeiten erreichen, konnte mir nicht erklären, was denn los sei. Tags darauf wusste ich Bescheid, oder besser gesagt: fühlte ich den Grund meiner Einschränkung. Gliederschmerzen, Fieber, Kopfschmerzen und Husten suchten mich an diesem Tag heim. Akute Anzeichen einer Influenza, wie sie in diesen Wochen ganz Süddeutschland heimsuchte. Erschöpft und völlig am Boden zerstört suchte ich nach der Schule mein Bett auf. Da lag ich nun, starrte an die Decke, dachte irgendwelches wirres Zeug und konnte mich nicht ohne Schmerzen bewegen. "Jetzt hat es mich also auch erwischt, jetzt bin ich auch mal dran" machte ich mir meine Situation klar.

Viel trinken, viel schlafen, dann wird das schon wieder. So einfach schien die Formel gegen diese Krankheit. So verschwand eine Saftschorle, ein Tee nach dem anderen in mir. Ich hatte nicht immer Durst, aber ich trank. Trank so viel, dass ich mehr damit beschäftigt war aufs Klo zu gehen, als Ruhe zu finden. Ich wollte kein Antibiotikum, dachte dass ich auch so wieder fit werden könne und das trieb mich an. Weit gefehlt, denn am Sonntag ging es mir schlechter denn je.

Ich verschwendete in dieser Zeit keinen Gedanken an das Laufen. Ich hatte nicht das Verlangen, den Trieb die Laufschuhe zu schnüren und in die frische Luft zu stürmen. Vielmehr war ich mit der Tortur Grippe beschäftigt. Ich kämpfte gegen sie, nicht gegen Gegner in Form von Läufern wie eine Woche zuvor bei den Crossmeisterschaften, nein, ich kämpfte sowohl mit seelischen, wie auch mit physischen Schmerzen.  Das Schlafen war eine Qual, da jegliche Position der Beine nach zehn Minuten mit Schmerzen verbunden war. Meine Beine schmerzten am stärksten.  Dazu immer noch Fieber um die 40°C. Jetzt wollte ich so schnell wie möglich zum Arzt, jetzt war mir alles gleich. "Ich will gesund werden!". Klar, Antibiotikum und andere Medikamente waren das Resultat, aber das war mir egal. Ich verspürte selten diesen Drang, diese Fixierung auf dieses eine Ziel: Gesund werden.

5 Tage später, es war Freitag, fühlte ich mich erstmals wieder so fit, dass ich mich entschloss etwas spazieren zu gehen. Mühsam schlüpfte ich in einen Pulli nach dem anderen, legte mir einen Schal um, zog die Mütze über - bloß nicht erneut krank werden. Meine Beine fühlten sich wie nach einem Halbmarathon an, als ich das Haus verließ. Sie hatten jegliche Kraft verloren, zu sehr hatte ihnen die Woche Bettruhe zugesetzt - eine Woche fast ohne Bewegung. Der ein oder andere Läufer sagt in so einer Situation vielleicht, dass er es kaum noch aushalten könne, nicht zu laufen. Die Woche ohne laufen seien eine Qual für ihn gewesen, der Entzug die Hölle. Doch von solchen Gedanken war ich seltsamerweise meilenweit entfernt, ich verspürte keinerlei Drang nach Bewegung.

Die Sonne strahlte, der Himmel war hellblau. Wären da nicht diese kalten Temperaturen gewesen, hätte man meinen können, es sei Sommer. Was für ein Gedanke: Sommer! Ja, der Sommer ist meine liebste Jahreszeit. Ich ging ein Feld hinunter, kam in die Weinberge. Herrlich, diese "frische", diese schöne Aussicht. Der Wald war meine nächste Station. Der Wald ist immer meine nächste Station, jetzt oder im Laufschritt. Ich kam an die Steigung, die mich wieder hinaufführte, hinauf zu den "3 Linden". Der Anstieg ist steil, schon oft bin ich ihn hinaufgerannt. Vor 2 Jahren, eine Woche vor den Deutschen Crossmeisterschaften habe ich mich hier explizit vorbereitet, wollte extra steile Bergläufe machen. Damals war ich motiviert, heiß auf die Meisterschaften, doch jetzt, wo dieselben Meisterschaften nur noch 2 Wochen entfernt liegen, bin ich nicht motiviert, nicht gewillt zu laufen. Jetzt gehe ich auch diesen Berg hinauf, mit Beinen die sich wie Gummi anfühlen, denen die Wörter "Kraft" und "Energie" fremd scheint. Damals hatte ich 8 Bergläufe gemacht: 4 lange und 4 kurze. Die Langen waren brutal, schon der Erste brachte mich voll in die Säure. Der Berg ist verdammt steil und er wird immer steiler. Doch sie hatten mir etwas gebracht: Bei den Meisterschaften, damals in Regensburg, konnte ich an den Anstiegen einige Plätze gut machen. Die Kurzen waren zum Schluss nur noch ein "800m-Endspurtkampf". Die Lunge arbeitete maximal, es tat weh, aber es ging. Ein gutes Training wurde mir beschert. Ich war mittlerweile am Spielplatz angekommen, jenem Punkt, von dem aus es nur noch 600m bis nach Hause sind. An warmen Sommerabenden bin ich hier immer dem Grillabend entgegengerannt, der Roten Wurst, dem Steak und vor allem der großen Apfelschorle. Trikot, kurze Hose, es ging so locker in den Abend. Die Sonne hatte ihren Tageslauf vollzogen, bescherte mir einen "roten" Abend. Meist war der Spielplatz noch voll; viele Menschen grillten hier, spielten oder saßen einfach nur da. Da läuft man von alleine schneller, da läuft man gerne von alleine schneller! Der Schritt war groß, er wurde immer schneller. Rennen, einfach nur rennen - die Urform dieses Sportes. Das warme Abendlüftchen erfrischte meine fliegenden Beine, sie wollten nicht aufhören. In Gedanken war ich bei einem New York Marathonsieg, bei einem Olympiasieg, oder ich kreierte mir ganz neue Arten von Wettkämpfen. Teamläufe mit Daniel Komen, mit Antonio Pinto. Es war einfach nur traumhaft!

Ja, ich bekam wieder richtig Lust, sehnte mich stark nach diesen warmen Sommerabenden, nach diesen schweren Bergläufen, nach dem Laufen, der Säure, dem letzten Kilometer, in Gedanken beim New York Marathon, der warmen Luft, den Abendsportfesten, den Stadtläufen... Ja, das Feld weitete sich immer weiter aus, das Feld "Laufen" war wieder in meinem Kopf. Ich bekam wieder Lust. Und so ging ich heim, ging ziemlich schnell wieder nach Hause. Der Asphalt unter meinen Füssen sollte bald wieder schneller unter mir vorbeiziehen, sollte wieder mit Laufschuhen beglückt werden, wie viele tausend Male zuvor. Mein Kreislauf machte mir zwar etwas Probleme, als ich leicht ins Schwitzen kam, aber er tat meinem neuen Hochgefühl keinen Abbruch. Ja! Sommer, Sonne, Trikot, Spikes, Wasser, Schweißperlen, der Geruch der warmen Tartanbahn. Ja, ich will endlich wieder laufen, ich will endlich wieder Sommer!

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Stefan Faiß (21./22.02.2003