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Ein Streifzug durch die Kindheit - ein Lebenslauf

Es war heute ein warmer Tag, einen den man am liebsten den ganzen Tag im Freien verbringen möchte, bis jetzt ein perfekter Sommertag . Die Sonne hat langsam den Tageslauf vollzogen, Zeit für mich die leicht abgekühlten Temperaturen für einen lockeren Dauerlauf zu nutzen. Das Laufdress bereits übergestreift schnapp ich meine Laufschuhe und setzte mich auf den Balkon unseres Hauses. Während mein Blick die Abenddämmerung genießt, meine Sinne die Umgebung, die traumhaften Bedingungen wahrnehmen, ja aufnehmen, laufen meine Gedanken alle mir bekannten Strecken ab, um eine Strecke zu finden, die sich mit meinen Wünschen, meinem Zustand deckt, eine Laufstrecke für diesen wunderschönen Abend. Jeden Hügel, Wald, Bach, alles durchlaufen meine Gedanken, die Rasterfahndung läuft auf Hochtouren, mein Körper noch nicht.

Eine Ergebnis hat sich herauskristallisiert, eine neue Kombination verschiedener Laufrouten, die Möglichkeiten scheinen fast unbeschränkt. Es ist ein neues Laufstreckenpuzzle entstanden, es sollte ein ganz besonderes werden. Ich konnte es noch nicht ahnen, band mir erst einmal meine Laufschuhe. Langsam, sehr langsam glitten die Schnürsenkel  durch meine Finger, ich ließ mir Zeit, wollte jeden Augenblick genießen, den ich hier saß.

Die Sonnenbrille noch auf die Nase, die Treppe hinunter, ich freute mich aufs Laufen, es gibt keine befriedgierenden Bedingungen zum Laufen als an diesen Augustabend. Wie entfesselt wollten meine Füße unter sich den Asphalt wegdrücken, wie ein Kind wollte ich raus zum spielen, raus zum rennen. Ich fühlte mich fast so, als ob ich wie damals raus wollte zum Fußball spielen. Ich liebte Fußball, Basketball, Ich mochte jeden Sport mit einem Ball, Hauptsache Ball. Hauptsache Bewegung. 

Wie viele Stunden mögen das wohl gewesen sein, die ich hier spielte, hier auf dem Boden unter mir, gegen die Wand vor mir, auf den Korb über mir? Die Erinnerungen kamen immer mehr zum Vorschein, die Bilder wurden klarer. Nur langsam ging ich weiter, ich sah alles wieder vor mir, ich war in meiner Kindheit. Wie ein warmer Teppich legte sie sich um mich. Ich wusste, dass ein Lauf anstand, welchen ich nicht so schnell vergessen würde, vor dem Haus holte mich die Vergangenheit ein. 

Damals schnappte ich mir nach der Schule, dem Kindergarten meist den Fuß- oder Basketball und stürmte damit nach draußen, etliches Leder wurde verschlissen. Ich spielte fast täglich, immer das selbe Spiel, immer die selbe Umgebung. Ob in den Korb an unserem Balkon, oder gegen die Gartenmauer unsere Nachbarn. Unzählige Male drosch ich den Ball gegen das Gemäuer, versenkte ihn im Netz. Mal mit Rechts, -mal mit Linksdrall, mal mit Vollspann mal mit der Hacke, der Ball war ein Teil von mir. Fußball und Basketball waren meine Sportarten, meist allein, manchmal ging ich auch mit Kumpels auf Bolzplätze oder ich spielte stundenlang mit meinem Cousin auf Garagen. Balkongeländerlatten, Gewächshausscheiben und kaputte Blumen waren die Zeugen des Spiels. Wir stellten Regenfässer als Freistoßmauern auf, zimmerten uns eigene Tore. Es machte uns nichts aus, wie das Wetter war, der Spaß stand über allem. Ob im Winter im Schneeanzug, im Sommer in der Badehose, eine Saisonpause wie sie die Profis haben, brauchten wir nicht. wollten wir nicht.  Man konnte mich wohl als Straßenfußballer bezeichnen, einer der das Spiel, den Umgang mit dem Ball durch spielen erlernte, das Gefühl durch probieren erwarb, wenn ich einen Ball sah, musste ich mit ihm spielen. Ein Magnet, der auch heute nachwirkt, was mich allerdings nie dazu veranlasst hat einen Verein zu besuchen Wieso auch? Ich war nicht unbedingt der Mannschaftssportler, mir machte Fußball auch alleine Spaß. Ähnlich wie beim Basketball, jedoch war ich dort 5 Jahre  in einem Verein, 5 Jahre 2 mal die Woche Training, daheim auf den eigenen Korb hatte ich viel mehr Spaß, ich trat aus. Ich war kein Mannschaftssportler.

In Gedanken versunken trabte ich langsam los. Ein Lauf durch meine Kindheit begann, ein Lauf bei dem die Gedanken, die Phantasie mehr vollbrachte als, wie es sonst ist, der Körper tut. Man schaltet das nicht einfach ab, wenn man sich an diese wunderbaren Zeiten erinnert, man genießt jeden Moment. Wie den Abend vor ein paar Minuten genoss ich jetzt die Reise durch meine Kindheit. Ein wenig Wehmut schwingt schon mit, doch ist es gerade diese welche das Gefühl so intensiv machen.

Ein Kilometer weiter laufe ich an unserem Spielplatz vorbei, der mich meine gesamte Kindheit zu immer neue Abenteuern einlud. Hier hatten wir früher gezündelt, genau an dieser Grillstelle. Dort haben viele meiner Kindergeburtstage in Grillfesten geendet. Oft Stundenlang ging es durch den Wald, über Wiesen, durch Weinberge. Immer der Fährte folgend, immer so schnell wie möglich. Mein Vater, verstand es geschickt uns in die irre zu führen. Wir kamen immer fix und fertig am Zielpunkt an. das Schnitzel war zwar nur eine Wurst, aber kann man ein Schnitzel so schön an einem Stecken grillen?  Im Halbkreis, immer dem Rauch ausweichend, hielten wir die Roten Würste  dann in die Glut (bitte keine verdorbenen Gedanken - Danke). Es war Kalt, im März ist es immer kalt, doch das Feuer wärmte uns. Wir hatte Spaß, ich hatte Freude daran, die frische Luft, das Himmelszelt waren mein wahres zu Hause. Damals mag es unbedeutend gewesen sein, heute würde ich diese Erinnerung nicht missen wollen. Und dort die Schaukeln, der Sandkaste. Ich sehe meine Oma und meine Mutter auf der Bank sitze, wie sie uns zusehen. Sie sehen uns Straßen, Burgen, Gräben ausheben, sie sehen uns Lachen. Als sei es damals. Die Baufantasie kommt wieder auf, wo ist der Sand, die Autos man kann dafür nie alt genug sein.

Als ich fast stehensgeblieben war konnte ich mich langsam wieder lösen, schwer nur sehr schwer kann ich mich wieder entfernen. Es geht nun Berg ab, Bilder, Szenen, die Vergangenheit ist der Film, meine Gedanken der Regisseur. Ich tauche in den Wald ein, ich laufe in mein Haus, in mein Haus: Wald. Schützend ziehen sich die mächtigen Baumgipfel über mir zusammen. Ich kenne diesen Weg, ich weiß, wo er hinführt, zu oft bin ich ihn gegangen. Der Schotterweg mündet in einen Trampelpfad, jeder Stein, jede Unebenheit ist mir bekannt. Noch einmal um eine Kurve und ein Anblick eröffnet sich mir, der vielleicht wie kein zweiter meine Verbundenheit zur Natur geprägt hat Ich konnte nicht einfach so weiter laufen, obwohl ich es so viele Male schon gesehen habe. Es ist jener Ort an dem sich die Seele in ihrem befriedigten Zustand befindet, es ist das Paradies für meine Seele. Nach zwei weiteren Schritten im Lauftempo ging ich den restlich Weg hinüber zur Brücke. Das plätschern des Wasserfalls, das Rauschen der Blätter, das Konzert der Waldtiere. Ich nehme auf einem Baumstamm platz. Ich sitze einfach nur da, ich brauch nichts zu tun um mich nicht zu langweilen, ich genieße die Umgebung....

Langsam kommen auch hier wieder alte Erinnerungen zu Tage. Ich weiß nicht wie viele Sonntage es waren, an denen wir hier mit unserem Vater waren, aber das ist egal, denn es war jedes Mal klasse. Wie damals stehen auch heute noch die Bäume wie stumme Zeugen da. Sie brauchen nicht sprechen, sie sagen auch ohne Worte alles. Sie haben uns damals zugesehen, als wir stundenlang Staudämme, ja richtige Stausysteme bauten. Immer neues Material wurde aus der Umgebung herangeschafft, es war alles da. Unser Vater saß oft am Rand und schaute uns zu, vielleicht auf dem selben Stamm wie ich jetzt, ich sehe jetzt auch zu. Ich könnte den ganzen Tag hier sitzen, oder was heißt Tag, die ganze Nacht würde ich ohne zu zögern hier verbringen. Ich blieb lange.

Dann kehre ich um, dem Pfad Richtung Waldrand folgend. Die Steigung wieder hinauf, nicht schnell, nur hinauf. Ich konnte nichts über mein Befinden sagen, ich wusste nicht ob mich der Lauf anstrengte oder nicht. Laufen war heute mehr als Sport, ich will es einmal mit Lebenslauf bezeichnen. Ich durchlaufe meine Kindheit, mein Leben. Es geht weiter.

Durch die Weinberge, an der Kelter vorbei, an unserer Kelter vorbei. Wie damals steht sie auch heute noch mit ihrem schönen Fachwerk da. Wie oft bin ich hier vorbei gekommen? Zu Fuß, mit dem Fahrrad, im Kinderwagen oder mit dem Schlitten. Keine 200m entfernt erhebt sich ein kleiner Wiesenabhang, im Winter unsere Schlittenbahn, im Winter unser Katzenbuckel. Links sind wir hinaufgestapft, immer bis zur totalen Erschöpfung, immer bis zum letzten Sonnenstrahl. Schanzen wurden gebaut, Todesschanzen, nur die Mutigsten testeten das Material von Körper und Schlitten. Bei viel Schnee konnten wir bis ins Tal fahren. Vielleicht 2 Kilometer nur berg ab, Wettläufe, jeder machte mit, jeder hatte Spaß. Der oder die Letzte genauso wie der oder die Erste. Das anschließende hinaufziehen war mühsam, war langwierig, doch wir nahmen es immer wieder in kauf. Legten Pausen ein und bewarfen nachfolgende Rodler mit Schneebällen. Wir bekamen später alles wieder zurück. Wir errichteten Festungen, stellten Schneebälle in Massen her. Es gab Einseifungen, manche lernten zu Rennen wie sie es nicht für möglich hielten. Kein Gesicht wollte mit dem kalten Schnee Kontakt haben. Es wurden auch einige Tränen vergossen. Wir waren immer in Bewegung. Und wurde es uns einmal zu kalt, waren wir K. O., wir liefen zu meiner Oma, wärmten uns an ihrem stets warmen Ofen, aßen Brot mit Gsells (Marmelade), alles selbst gemacht. Dann ging es wieder raus, raus in den Schnee.

Doch von Schnee ist im Moment nichts zu sehen, Gott sei dank, die Kälte hätte ich wohl nicht verkraftet. Ich trabe in Gedanken versunken weiter, verfolge noch einmal den Lauf unserer Schlitten, erinnere mich an die spezielle Kurventechnik, ich fahre mit. Der Schnee unter mir erzeugt das typische Geräusch. 

Ich biege ab, den Katzenbuckel  hinter mir lassend, ich weiß, dass er nicht verschwinden wird, ich werde wieder vorbeikommen. Ich sehe die Straße hinauf, sehe uns mühsam unsere Schlitten hinaufziehen, dort oben nach rechts geht es zu meiner Oma, wir sehen erschöpft aus.  Jeden Meter dieser Straße scheine ich wie mein eigenes Zimmer zu kennen. Ich folge ihr wieder ins Grüne. Apfelwiesen säumen den Rand. Rechts erschließt sich der Wald, die Kläranlage, damals ein Spektakel ihr zuzuschauen, heute fast unbeobachtet. Ich komme an einer Wiese meiner Oma vorbei. Äpfel, - Kirsch, - Mirabellen und Zwetschgenbäume, regen den Appetit an. Kartoffeln und andere Gemüsesorten übersähen den Acker. Bei Erntezeit waren alle zu Dienste, alle halfen mit. Mit Leiter, Körben, und Schubkarren ging es zum Abernten. Jeder half mit, von der kleinsten Cousine, bis zum Ältesten. Die Bäume wurden erklommen, nicht jeder konnte die Höhe so ohne weiteres auf sich nehmen. Mein Vater musste sich mehr als nur einmal opfern, wenn alle zurückschreckten. Die kleinen Bäume waren unser Metier, wir kosteten jede Sorte, wir hatte immer Bauchweh. Die anliegenden Wiesen dienten, sofern sie noch nicht gemäht waren als verstecke, als Labyrinthe, der Bauer sah das nicht gern, wir schon. Wir krabbelten durch das hohe Gras, die Erwachsenen durften uns nicht sehen. Wir ertrampelten ein Höhlensystem.

Die Dämmerung ist schon  deutlich zu Gegend, doch Kälte empfinde ich nicht, es ist viel mehr eine Wärme die von innen heraus auf mich einwirkt, eine Wärme die keine Veränderung erwünschen lässt. Weiter geht es, ich laufe an weiteren Obstwiesen vorbei, die Bilder bleiben vor Auge. Der Sonnenuntergang ebnet mir den Weg, es ist ein Gefühl von Freiheit, von Zufriedenheit, dass sich meiner angenommen hat. Nicht an das, was man gemieden hat erinnert man sich, sondern das was man gemacht, erlebt hat bleibt einem in Gedanken. So kristallisiert sich vieles was ich damals nicht gern getan hab, doch als schöne Erinnerung heraus. Ich meine damit meine Einschulung.

Mittlerweile bin ich schon wieder ein ganzes Stück vorangekommen, habe mich im Ort nach oben gearbeitet, über Treppen und Steigungen, bis ich vor ihm stand, vor unserem heute hässlich aussehenden Schulgebäude. Modern haben sie es gemacht, mit einem Lila Ton überzogen, die Fensterläden abmontiert, zum Glück ist der Abend schon weit vorangeschritten, die Dämmerung erspart mir den vollen Anblick. Aber ich kann mich noch an meinen ersten Gang in diese Schule erinnern, damals bei der Einschulung. Unter den vielen fremden Menschen kam ich mir etwas verloren vor, ein neuer Abschnitt in meinem Leben sollte beginnen. Wieso? der Alte war doch schön genug, wieso etwas Neues? So stand ich da mit meiner Schultüte, vollgepackt mit allerlei Leckereien, ich konnte sie kaum tragen. Der Pausenhof wie damals, der Eingang, die Toiletten.  So viele Gleichaltrige, auf einmal den ganzen Vormittag ruhig sitzen, die Pausen mussten den Bewegungsdrang befriedigen, der ball half mit. Ich nahm die Schule nicht so ernst. Fußballkarten, Spielsachen waren mir wichtiger, wieso Schule?

Die Straßenlaternen leuchteten mir den Weg nach Hause, den Schulweg wieder das Gewohnte. Fast jeden Tag den selben Weg, heute wie damals, es war immer der selbe. Ich brauchte etwa 10 Minuten wenn ich ihn ging. Hin zur Schule deutlich langsamer als zurück, zurück rannte ich, rannte ich wie jetzt, nach Hause, schnell nach Hause.

Die Zeit war mir egal, ich war müde, sehr müde, sowohl physisch, als auch psychisch. Meine Gedanken sind heute gelaufen, haben die Anstrengung aufgebracht. Mein Körper war heut nicht gefordert. Noch einmal unsere Auffahrt hinauf, ich war wieder an meinem Ausgangspunkt, der kreis hatte sich wieder geschlossen, so wie sich das Leben einmal wieder schließt.  Jetzt war mir erst bewusst wie viel Glück ich hatte, wie schön meine Kindheit war, ich hätte sie mir nicht anders wünschen, nicht schöner vorstellen können.

Und eins war damals genauso wie es heute ist, es ist immer noch mein Bett in dem ich schlafe, es nahm mich damals auf wie es mich heute in sich ruhen lässt. Ich zog mich schnell um und ging nach oben. Jetzt konnte ich mich nicht mehr sehen, jetzt lag ich wie damals schlafend auf meiner Matratze, wir waren wieder die selben. Der Kreis hatte sich geschlossen, ich bin heute mehr als nur gelaufen.

Danke für diese Kindheit

 

Stefan Faiß (10.08.2002)