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"Danke Peter Maffay!"

 

Einmal dabei sein, einmal dabei sein ohne Druck, ohne Aufregung, einfach mitlaufen. Die Umgebung, genießen, die Zeit missachten. Dem Ziel der Mitstreiter folgen, welches zum größten Teil auf einiger maßen flott durchkommen hinausläuft. Das Motto "Just for Fun" das eigene nennen.  Das machen, was alle machen, die hier mitlaufen, mitfeiern ihre Freude haben. Da wo sich das Feld nicht auseinanderzieht wen der Startschuss gefallen ist, wo man die ganze Strecke von andern, von Gleichgesinnten umgeben ist. Wo während des Laufes geredet, gescherzt, philosophiert wird, Erfahrungen, Geschichten die Runde machen. Wo nicht jeder im gleichen Standardlaufdress unterwegs ist, wo phantasievolle Kostüme, Schlabberhosen und sonstige diverse Kleiderpracht den Blick Einherschweifen lässt. Da, wo das Publikum interessiert betrachtet wird, die Anfeuerungsplakate honoriert werden, wo Familien am Streckenrand den Papi ausfindig machen wollen,  wo die Welle im Pulk die Runde macht, wo applaudiert und gelacht wird, ja da, da wo laufen gelebt, gefeiert wird. Mittendrin, wo die Dichte des Feldes ihren maximalen Wert besitzt, dort möchte ich einmal dabei sein.

 

Und ich war dabei, nicht bei einem dieser großen Stadtmarathons, wo die Teilnehmerzahlen meist die 20 000 übertreffe, nein der Stuttgart-Lauf 2002 bescherte mir diese tolle Erfahrung. Erst wäre es gar nicht so weit gekommen, da ich mich im Vorfeld für die kürzeren 7 Kilometer entschieden hatte. Der 2 Tage zuvor gelaufene Pforzheimer Citylauf verwarf die Entscheidung, die 21,1 Kilometer als Wettkampf in Angriff zu nehmen. Wenn dann sieben, das würde ich vielleicht noch wegstecken können. So musste ich es auf die Frage: "Was?, du läufst nicht die Lange?" in etwa wiedergegeben haben. Benni, ein Klassenkamerad, wollte mich überreden, doch ebenfalls die lange Distanz zu laufen. Sein wochenlanges Training, wollte er in Stuttgart abrufen, den Lohn für unzählige Trainingskilometer ernten. "OK, wenn ich  lauf, dann begleit ich dich auf deinem ersten Wettkampf". Es war beschlossene Sache. 

"Wo bleibt er denn?" wartete ich ungeduldig vor der Schleyer-Halle. Es waren nur noch 50 Minuten bis zum Start, als er auftauchte. Startnummer dran, Trainingsklamotten aus und wir schlenderten zur Kleiderbeutelabgabe. Ein Chaos, bescherte uns eine lange Wartezeit in der Schlange. Die Zeit verrann, die Temperaturen stiegen. Obwohl es erst Halb 9 war strahlte die Sonne schon intensiv auf das Läufervolk. Ein warmer Tag deutete sich an, für den Halbmarathon nicht unbedingt optimal. Noch aufs Klo, und wir tauchten ein, ein in ein riesiges Meer von Menschen. Als Schwimmstil war die Kraultechnik hier jedoch ziemlich fehl am Platz, wir bevorzugten Brust. Wie Delphine bahnten wir uns den Weg Richtung Start. Der Badespaß fand jedoch ziemlich schnell ein abruptes Ende. Es ging nichts mehr. Vom Start war weit und breit nichts zu sehen. Wir hätten noch eine Abbiegung nach rechts müssen, was uns jedoch durch die hohen Menschenwellen unmöglich war. Wir trieben also im "Wasser" und warteten auf den Start. Warmgelaufen haben wir uns nicht, ein paar Dehnübungen mussten reichen. Die Wellen wurden immer größer, wir mussten uns bemühen, um nicht hinweg gespült zu werden. Wir sahen kein Ufer. Mit auf See, kamen wir uns ziemlich hilflos vor.

Von weitem drang nach der üblichen Einstimmung des Sprechers plötzlich die Stimme von Peter Maffay an unsere Ohren, die Menge tobte. Wir drohten  zu erstrinken. Er war extra aus Dessau herübergekommen um den Startschuss zu geben. Ich glaube, da gibt es nur eines was man darauf sagen kann: "Danke Peter Maffay". Und das er mit seinen Jungs auch hin und wieder joggt, die Auftritte viel Kraft kosten und er uns alle bewundert gaben uns einen enormen Motivationsschub. Wie auch immer...

Er öffnete die Schleuse, der Damm war gebrochen, das Wasser trat aus. Nach etwa einer Minuten hatte auch uns der Sog erwischt, wir trieben hinaus, hinaus auf den Kanal, das Rennen hatte begonnen. Eine Zielzeit war nur schwer auszurechnen, da Benni noch nie einen Wettkampf gelaufen war. Fußball ist seine Leidenschaft, wobei das Wort "Leidenschaft", nach diesem Lauf wohl eine ganz neue Bedeutung für ihn haben wird. "LEIDENschaft". Als Anhaltspunkt legten wir Kilometerabschnitte von 5 Minuten als Richtwert aus. Nach einem Kilometer waren es 6:10min, aber Zeit war heute zu vernachlässigen. Locker unterhielten wir uns, "Haben die Deutschen heute eine Chance?, Roberto Carlos und Ronaldo mal live gesehen zu haben ist phänomenal.  Wenn doch nur Maradona noch spielen würde." Wie die Zeit verflog, obwohl wir ein etwas langsameres Anfangstempo wählten. Wir versuchten meine Erfahrungen auf dieser Strecke ins positive umzusetzen: viel, und rechzeitig trinken; lieber zu langsam als zu schnell angehen; wenn du bei Kilometer 10 noch ordentlich Reserven hast, war das Tempo richtig". 

Ob die Sportgruppe der Firma "Bosch" Bodybuilder, Lauftreffs, Schüler, ältere Herren und Damen oder eben Fußballer, alle waren sie dabei. Jeder schien seinen Spaß zu haben, es wurde viel geredet, viel gealbert, ich kannte das nicht von Wettkämpfen, ich fühlte mich ein wenig fremd. Aber nicht unwohl. Ich empfand nicht den Drang, schneller zu laufen, um jeden Platz zu kämpfen, eine schnelle Zeit zu laufen, ich war froh Benni begleiten zu können, die andere Seite des Laufsports kennen zulernen. Sie war nicht unbedingt schöner, als das jagen nach schnellen Zeiten, aber angenehmer und spaßiger auf jeden Fall. Immer schwamm man im Strom, im dichten Strom.

 Benni zeigte eine starke Vorstellung, die 10 Kilometer waren nach etwa 54 Minuten absolviert, er machte einen lockeren Eindruck, er konnte noch zulegen. Wir setzten zum Angriff an, jetzt war der Wendepunkt erreicht, das Ziel war vor Augen. Wir redeten immer noch, nicht mehr so viel, aber zu lachen hatte wir dennoch. Laufen macht Spaß, nie zuvor habe ich es eindrucksvoller erfahren. Die Läufer und Läuferinnen links und rechts von uns reagierten unterschiedlich. Die einen brachten einen Spruch mit ein, die anderen wunderten sich, warum wir noch redeten, und das in einem Wettkampf. Ja und ?, wir waren jetzt nur noch am überholen. Wie Slalomstangen umkurvten wir die Mitstreiter/-innen, wir waren jetzt Surfer, Wellenreiter die auf dem Wasser dahinglitten. Es machte immer mehr Spaß, das Wasser wurde nicht weniger, wir sollten bis ins Ziel nicht auf dem trockenen sitzen. 

Kilometer 17, der Knackpunkt. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen in dem sich Benni noch nie befand, nie zuvor war er so lange gelaufen, aber er kämpfte, alle um uns herum kämpften. Musikgruppen und nach wie vor zahlreiche Zuschauer feuerten die Athleten/-innen an, auch jetzt noch ging die Welle durch das Feld. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, in dem es keinen Unterschied zwischen Erstem und Letztem gab, jetzt quälte sich jeder gleich. Das sommerliche Wetter fügte ebenfalls seinen Teil hinzu, Schatten wurde vergeblich gesucht. Wir überholten immer noch, Benni kämpfte bravourös, er hatte das Ziel vor Augen. Um den Vergleich fortzuführen: der Abfluss war nahe, man merkte wie alle noch einmal schneller wurden, wie der Ablauf sie anzog. Im Stadion verschwand das Wasser. Hunderte von Zuschauern säumten die Strecke, Gänsehautstimmung trug uns ins Stadion. Es gab kein Entkommen mehr, wir verschwanden mit den Wassermassen im Ziel. Er hatte es geschafft, ein geniales Rennen abgeliefert, zugetraut hab ich ihm das ehrlich gesagt nicht. Die Zeit blieb bei 1:47:32 h stehen. Wir konnten zufrieden sein. Er weil, es sein erster Wettkampf war, und dazu noch ein sehr gelungener, und ich, weil ich um eine Erfahrung reicher war. Freute mich auch, Benni geholfen zu haben. Zufrieden trotz Aussicht auf einen vorderen Platz und einer schnelleren Zeit.

Bennis Resümee fiel relativ kurz und kompakt aus: "Kilometer 1 bis 10 war locker, 10 bis 14 war auch noch OK, Kilometer 14 bis 17 musste ich schonein bisschen kämpfen, war nicht mehr so locker.  Alles weitere war nur noch der Tod." Ja, so soll es sein, er hatte Leidenschaft gezeigt.

Nach einer kurzen Verschnaufpause stürzten wir uns dann auf die Getränke- und Essensausgabe. "Trinken und essen bis es uns schlecht wird", war angesagt, das Startgeld musste wieder reingeholt werden. Bananen, Äpfel, Isogetränke, Mineralwasser, Apfelschorle, Frühstücksdrinks, Red Bull und, und, und. Wir tranken und aßen in Unmengen. Es wurde uns schlecht, wir waren mit dem Veranstalter wider Quitt. Wir hatten volle Bäuche, hatten etwas geleistet, waren zufrieden, was wollten wir mehr? Moment, da war ja noch was. Ein Spiel, ein Fußballspiel, ja Deutschland musste für einen perfekten Tag noch Weltmeister werden. Ich konnte nur noch die 2. Halbzeit zu Hause verfolgen, mehr war ja auch nicht nötig.

Im Endeffekt wäre es wohl besser gewesen, wenn Ronaldo heute die Laufschuhe, anstelle s der Fußballstiefel getragen hätte, und Yokohama mit Stuttgart getauscht hätte. Uns hätte er heute nicht geschlagen. 

Na ja, es kann eben nicht alles so laufen, wie man es will, sonst wär's ja auch irgendwie langweilig. Trotzdem bedank ich mich hiermit noch einmal bei Benni und bevor ich's wieder vergesse "Danke Peter Maffay!"

Bildquelle: www.stuttgart-lauf.de  +  www.sport1.de

 

Stefan Faiß (30.06.2002)