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Rush Hour im Wald

Gerade aus dem Türkei-Trainingslager zurückgekehrt, wollte ich schon wieder in meinem heimischen Terrain das Laufvergnügen suchen. Nur leider fiel mir das nicht all zu leicht, da die Tage um Silvester mir kaum Schlaf beschert hatten. Mit Kaffee und Cola, konnte ich dort die Ermüdung hinauszögern, sie aufschieben. Doch jetzt kam der aufgeschobene "Müdigkeitsberg" zum Vorschein, ich konnte ihm nicht mehr entkommen. Viel Schlaf und Erholung musste ich nun aufbringen um meinen Körper wieder auf Vordermann zu bringen. So taumelte ich mehr oder weniger wach durch die Gegend und kam dem Gipfel des Berges der Müdigkeit immer ein Stückchen näher. Immer darauf bedacht am anderen Ende wieder in das Tal der Wachheit zu rutschen.

Am zweiten Tag meines apathischen Daseins - ich war noch immer im Halbschlaf - brach ich also trotz anhaltender Müdigkeit auf, um die frische Luft, die heimischen Strecken zu erkunden. Ich wollte nicht von unserem Haus starten, da mir auf diesem Wege nur stark profiliertes Gelände begegnen würde. Gelände, dass ich in diesem Zustand nicht brauchen konnte, ich brauchte eine flache, eine weiche Strecke, die meine Regeneration vorantrieb. Also fuhr ich aufs Jägerhaus, welches gemeinhin auch als Läuferhochburg im Kreis Esslingen gilt, um dort meinem Bewegungsdrang nachzukommen. Ein Wald, der mit einem weiten Wegnetz durchzogen ist präsentiert sich dort dem Läufervolk. 

Dort angekommen, empfingen mich Kälte, leichte Dunkelheit und wenn man es so will, ein leichter Nieselregen. Ein Wetter, so dachte ich mir, dass wahrlich keinen zum Laufen einlädt, das eher davon abhält. Ich stellte mir schon vor, wie ich - üblicherweise bei solchen Bedingungen - alleine durch den Wald rennen musste, wie weit und breit keine Menschenseele zu sehen war. Aber was soll's dachte ich mir, mal wieder alleine zu Laufen tut auch ganz gut. Ich wollte ein wenig die Müdigkeit aus meinem Körper laufen und die frische Luft genießen. Ein regenerativer Dauerlauf sollte die Art meines Unterfangens sein, was im Endeffekt vielleicht einen 5er Schnitt bedeutete. 

Die ersten Meter fühlten sich träge an, die Beine wollte noch nicht so richtig, meine Finger froren. Die Lunge hatte noch den Rhythmus des Mittagsschlaf verinnerlicht - es dauerte bis sie sich wieder auf Laufatmung umstellte. Ich trabte dahin, die dunklen Bäume, der graue Himmel prägten das Ambiente.

Aber was war das?  Lebewesen, Menschen, ja,  mir lief tatsächlich eine Gruppe von Läufern entgegen. 5 oder 6 Mann in voller Laufmontur. Ich konnte es nicht glauben, war sichtlich überrascht. Doch ich fehlte bei dem Gedanken, als ich annahm, dass dies die Einzigen waren, die neben mir heute unterwegs waren. Läufer, Läuferinnen, kamen mir fast in 100 Meter Abständen entgegen. Frauen, Männer in langsameren in schnelleren Tempi durchliefen den Wald. So bekam ich unerwartete Probleme, als ich meine übliche Klopause einlegen wollte. Ich musste weit ins Unterholz um meine Ruhe zu haben um den Schlusspunkt auf meinem Verdauungsvorgang zu setzen. Ich kannte diesen Verkehr auf dieser Runde nur von warmen Sonntag Vormittagen. Da wo für viele Freizeitläufer "der Lange" anstand, wo die RUNNERS WORLD Trainingspläne umgesetzt wurden. Doch heute, heute verstand ich nicht, warum so viele unterwegs waren.

Und kaum war ich wieder in dieser Rush Hour, verschwand die Müdigkeit, verschwand die Trägheit, ja es verschwand auch der regenerative Dauerlauf. Ich wurde zwar nicht ungemein schneller, spürte aber, das sich das Tempo bei einem 4:35 bis 4:40er Schnitt eingependelt hatte. Doch es fühlte sich locker an, es fühlte sich regenerativ an und das war das Wichtigste, das war das Gute an den vielen Mitläufern und Mitläuferinnen. Dennoch wollte ich wissen warum es heute - bei diesem Wetter, bei dieser Dämmerung - so viele waren, die sich mit mir den Wald teilten. 

Ich musste nicht lange überlegen um des Rätsels Lösung zu erfahren. Die Antwort schoss mir förmlich in den Kopf als ich mir das Datum klar machte. Wir hatte es 3 Tage nach der Jahreswende und damit den dritten Tag im neuen Jahr, womit die Antwort auf der Hand lag. Ich vermutete, dass  ein Großteil derer, die heute hier unterwegs waren ihrem guten Vorsatz nachkommen wollten.  Viele eiferten hier ihrem  Ziel des  Mehr-Sport-machens und  des  Abnehmens entgegen. Zwei Vorsätze, die neben dem Ziel Nichtraucher zu werden, als Klassiker unter den Maximen gelten. 

Solche hatte ich nicht, aber als ich so weiterlief machte ich mir natürlich auch Gedanken, was denn meine Vorsätze, meine Ziele fürs neue Jahr seien. Privat sind diese sicher das ABI so gut wie möglich hinter mich zu bringen und viel Zeit mit meiner Freundin zu verbringen. Sportlich will ich es dieses Jahr mal richtig knallen lassen, will meine Bestzeiten deutlich verbessern und in den Wettkämpfen mehr Risiko eingehen. Das sind meine Hauptvorsätze, welche sich allerdings noch mit ein paar Kleineren ergänzen.

Ich brachte die letzten Kilometer frohen Mutes noch hinter mich und freute mich, dass der Dauerlauf so positiv verlief, dass so viele Läufer und Läuferinnen heute unterwegs waren. Fuhr wieder nach Hause in dem Gewissen nun auch meine Vorsätze abgesteckt zu haben. Und in diesem Sinne wünsche ich allen Lesern und Leserinnen ein gutes und erfolgreiches neues Jahr, auf dass all eure Vorsätze in Erfüllung gehen mögen.

 

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Stefan Faiß (04.01.2003)